Doris wollte … ich nicht

Es sollte einer werden, Doris hatte mich schon fast rum, sie wollte einen Fressanfall. Um halb 7 hatte ich schon gefrühstückt, dann bin ich zur Uni aufgebrochen, dort und in der Stadt mit Erledigungen brachte ich die Zeit bis halb 4 zu. Nur ein Apfel stellte das Mittag dar, was mir nach dem vielen kalorienreichen Essen der letzten Tage ganz recht war… Hunger und du isst nicht, du gleichst das Essen der letzten Tage aus… ich jubelte innerlich. Doch war das ich oder Doris? Wieder in der Wohnung bemerkte ich Doris hatte die Führung übernommen. Noch vor einigen Stunden im Supermarkt konnte ich ganz gut führen, nur eine Tafel Schokolade stellte den „ungesunden“ Part dar. Wieso nicht? Kann ja ab und an ein Stück essen – es fühlte sich machbar an. 16 Uhr stand ich in der Wohnung, in der ich nun endlich offiziell gemeldet bin, packte die Sachen aus. Ich hatte ein mega Hungergefühl. War ja auch kein Wunder, da ich seit einem Apfel gegen 11 nichts mehr gegessen hatte, zum Teil verdrängt, zum Teil auch vergessen. Wenn ich nicht irgendwo gewartet habe, bin ich gemütlich durch die Stadt gebummelt, hier in ein Krims-Krams- Lädchen und da in eine Drogerie – ja es war schön, es war entspannt. Keine Doris die brüllte und die Essgeschäfte triggerten auch nicht. Notiz: Lässt das unbändige Verlangen nach Essen etwas nach, weil ich bisher regelmäßig und genügend gegessen habe? Ich denke ja und weil ich merke, dass ich es nicht brauche. Doch zurück in der Wohnung sah es anders aus, ich brauchte etwas zu essen, mir war schon ganz flau im Magen. Erstmal etwas Jogurt mit frischen Heidelbeeren und überlegen was ich kochen könnte. Doch dazu kam es gar nicht, sobald ich den ersten Löffel gegessen hatte legte sich der Fressschalter um. Die 2 folgenden Schüsseln aß ich alleine für Doris, genauso wie den Kopf Kohlrabi. Doch ich steuerte was ich aß, nur Lebensmittel, die ich drinne behalten könnte. Die Schokolade blieb zu, später bemerkte ich, dass ich auf diese auch gar keine Lust gehabt hätte. Da saß ich nun also mit sehr gut gefülltem Magen am Küchentisch und überlegte was ich machen sollte. Ich überlegte! Was ich schon für Fortschritte gemacht habe, dieser Automatismus: Essen -> Kotzen, ist zur Zeit außer Funktion, der Vorgang wird durch Überlegen unterbrochen. Ich schalte also nicht mehr ganz ab bei einem Fressanfall, stopfe nicht mehr unkontrolliert, wie ferngesteuert alles in mich hinein. Ich legte mich mit meinem Völlegefühl auf die Couch, hörte Musik und atmete einfach – dachte an schöne Begebenheiten, die bei den Liedern in den Kopf schossen. Ich hielt aus, spielte Gitarre und Doris hörte irgendwann auf in meinem Bauch Purzelbäume zu schlagen und in meinem Kopf ein Gedankengewitter zu stiften. Ich war nicht alleine, ich schrieb mit Freunden und betete. Ich bin die, die heute in ihren neuen Schuhen stolz zur Uni gegangen ist, weil es für sie ganz Besondere sind, da sie einen Schritt nach vorne markieren in ihrem Kampf gegen die Essstörung. Ich bin die, die sich diese Schuhe vor die Couch gestellt hat, um sich ins Leben zu rufen, dass heute schon der 10. Tag ist an dem sie nicht gekotzt hat. Ich bin die, die beim Zwiebeln schneiden versucht zu weinen, aber bei der keine Tränen fließen. Ich bin die, die gerade hier sitzt, die Tasten drückt, atmet und beim Hineinhorchen in sich, sagen kann: Ja ich bin stolz ausgehalten zu haben, den Fressanfall unterbrochen zu haben und den vollen Magen akzeptiert zu haben – ich nehme meine heutigen Handlungen an, ich habe richtige und falsche Entscheidungen getroffen, doch mit jeder Einzelnen habe ICH heute MEIN Leben gelebt, so wie ich bin. Und immerhin weiß ich jetzt, dass man bei Regen nicht die hellste Hose aus dem Kleiderschrank anziehen sollte… Vielleicht geht es im Leben darum aus falschen Entscheidungen zu lernen und weiter zu gehen, statt vor Scham zurück zu gehen. Morgen ziehe ich eine dunkle Hose an, statt mich zu Hause einzuigeln. Ok, wäre vielleicht etwas krass, aber was besseres fällt mir gerade nicht ein… Ich bin halt die, die versucht immer alles in Bildern zu erklären 😉

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Ich wünsche noch einen schönen und einen gesegneten Abend 🙂 – der Kampf für das Leben lohnt sich! Immer Schritt für Schritt.

Eure Elli

 

Die Geschichte von Doris: https://ellitsblog.wordpress.com/2016/12/26/mein-kugelfisch/

12 Gedanken zu “Doris wollte … ich nicht

  1. Hallo Elli,
    als ich deinen Beitrag gelesen habe, musste ich an meine ersten Tage denken, an denen ich nach dem Essen nicht gekotzt sondern ausgehalten habe und daran, dass mir das heute immernoch und immer mal wieder so geht wie dir. Du hast so tolle Fortschritte gemacht und es ist unglaublich schön zu lesen, dass du auch stolz drauf sein kannst.
    Dir auch einen schönen abend und ganz viel Kraft weiterhin.
    Liebe grüße von Ayla.

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    1. Liebe Ayla, ich freue mich über deine Worte – Danke! Das gibt Kraft für alles weitere. Ich weiß, das es einige Zeit so weitergeht… Doch es kommen auch die schönen unbeschwerten Zeiten vermehrt und dafür lohnt sich doch der Kampf oder?
      Ja es ist selten, das ich mal sagen kann: ich bin stolz – aber heute geht es. Bin auch gerade dabei es bewusst zu lernen.
      Dankeschön 🙂 Ich wünsche dir auch viel Kraft in deinem Kampf!
      Ganz liebe Grüße Elli

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  2. Ich lese Dich heute zum ersten Mal Elli, und viele Erinnerungen aus meiner Jugend kommen hoch.
    Ich habe zwar nie gekotzt, hatte aber ebenso schlimme Esstörungen, indem ich Tage lang von nur 600 Kalorien lebte, um mir danach einen Fresstag leisten zu können.
    Ich hatte eine richtig gehende Panik davor dick zu werden, und ich hasste mich, weil ich auf diese Fresstage nicht verzichten konnte.
    Träumte Jahrzehnte lang davon täglich mit unter 1000 Kalorien auszukommen, weil ich mir vorstellte, wie traumhaft ich aussehen würde, wenn ich mit 164 nur 40 kg wiegen würde.
    Tatsächlich schaffte ich es immer nur bis 46-47 kg.
    Als ich mit etwa 45 Jahren endlich den Mut hatte ich selbst zu sein, also das Vorbild „Twiggy“ aus den 60ern losliess und in mich hinein horchte, pendelte sich mein Gewicht bei etwa 60 kg ein, und ich wusste, mit diesem Gewicht fühle ich mich am wohlsten.
    Dieses Gewicht liegt zwischen dem Ideal- und Normalgewicht.
    Idealgewicht = – 15% der Körpergrösse
    Normalgewicht= so gross so schwer
    bei 164 cm wäre das Idealgewicht also 54 kg und das Normalgewicht 64 kg gewesen.
    Der Körper bestimmt das für sich selbst – wenn Du nur auf ihn hörst.
    ganz liebe Grüsse aus Wien
    Doris Barbara (Freunde nennen mich Babsie)

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    1. Hallo Babsie,
      vielen Dank für deinen Kommentar! (vorneweg erstmal Entschuldigung für den „Missbrauch“ deines Namens. Zur Erklärung: https://ellitsblog.wordpress.com/2016/12/26/mein-kugelfisch/)
      Ich finde es toll von dir zu lesen, dass du es geschafft hast – raus aus der Essstörung und zufrieden mit deinem Gewicht bist. Das Verlangen zum Essen ist der Knackpunkt – durch das Kotzen zählt nur essen, viel und noch mehr, es wird in meinen Augen ein automatisierter Prozess, den man bekämpfen muss, leider schießt man dabei vielleicht erstmal über sein Normalgewicht drüber… das ist das was schwer akzeptabel ist. Man will essen, und selbst wenn man es dann zulässt ist und nicht kotzt… ich kann oft einfach nicht aufhören zu essen. Doch ich hoffe das ich das lernen kann. Ich bewundere dich, dass du es geschafft hast. Da ich selbst auch mal in der Magersucht mit extremen Kalorienzählen (möglichst 0-20) am Tag gefangen war, weiß ich wie schwer es ist diese Kontrolle abzulegen.
      Darf ich fragen wie lange du mit der Essstörung gelebt hast?

      Ganz liebe Grüße zurück 🙂

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      1. Die Esstörung begann mit etwa 15 Jahren, als ich merkte, dass ich eine Frau werde….das erschreckte mich, erinnere ich mich.
        Ich machte damals meine erste Abmagerungskur von 55kg auf 48kg.
        Mit 46 Jahren fand ich den Mut ich selbst zu sein.
        Also 30 Jahre lebte ich dieser Gefangenschaft.
        Tatsächlich hatte ich niemals wirklich den Sprung in die Welt der Erwachsenen geschafft.
        Suchte immer nach viel älteren Männern, die für mich mehr Papa als Partner waren, und von denen ich ausgehalten wurde.
        Hatte das Glück sehr hübsch zu sein, und so fand sich immer jemand, der auf eine zierliche Püppi stand.
        Sah auch immer weit jünger aus.
        Mag sich cool anhören, doch niemals auf eigenen Füssen zu stehen oder stehen zu wollen, hatte viele Folgeerscheinungen. Die schlimmsten waren Panikattacken und Depressionen.
        Also absolut kein Leben zum Weiterempfehlen.

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      2. Danke, das du deine Geschichte teilst. Ich stelle mir dein Leben alles andere als einfach und “cool“ vor… umso schöner, dass du jetzt davon reden kannst und sagen, das du angekommen bist.

        LG Elli

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  3. Liebe Elli
    Was ich vielleicht noch sagen könnte ist, dass ich in meiner zweijährigen Psychotherapie gelernt habe , dass dieser extreme Drang nach Essen mit dem Drang nach Entspannung zu tun hat.
    Man versucht damit eine extreme innere Anspannung zu lindern.
    Deshalb ist das Lernen von autogenem Training und progressiver Muskelentspannung eines der wichtigsten Voraussetzungen.

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